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Gzuz: »Heute ist vieles nur Augenbrauen­gezupfe

  • Autorenbild: René Heimbucher
    René Heimbucher
  • 6. Nov. 2015
  • 13 Min. Lesezeit

Back in Bargteheide. Gzuz tischt Frühstück auf. »Für die Gäste nur das Beste«, sagt er mit einer dreckigen Lache und schmiert sich eine Schrippe. Im Hintergrund wummert der aktuelle Stand von »Ebbe & Flut« aus den Studio-Monitoren. Anderen Menschen würde in dieser Situation wohl das Herz in die Hose rutschen. Es geht hier schließlich um das erste Gzuz-Album. Vor allem aber geht es um einen wohlverdienten Platz für die 187 Strassenbande im deutschen Rap-Business.

Gzuz scheint dieses Geschäft für nicht mehr als eine Manege voller Clowns zu halten – und doch wird auch er wissen, dass es jetzt drauf ankommt. Es geht um eine nachhaltige Perspektive, nicht nur für sich, sondern für die Bande. Straßengeschichten haben dem Endzwanziger bereits zweieinhalb Jahre hinter Gittern beschert, Kollege LX ist gerade erst eingewandert. Und das, obwohl letzterer mit Maxwell jüngst den »Obststand« ausverkaufte, Deutschrap damit den Überraschungserfolg der Saison bescherte und sich selbst eine positive Sozialprognose verschaffte. Nun ist es an Gzuz, nachzuziehen. Wenn Bonez der kühle Kopf der Bande ist, darf man Gzuz das Herz nennen. Doch erhöhter Puls? ­Fehlanzeige. Während Bonez mit Haus-Produzent Jambeatz am Rechner sitzt und Track für Track mit kurzen Kommentaren durchgeht, steht Gzuz an der Wand und performt – für sich. Man sieht ihm an, dass er diese Tracks ernstnimmt. Er konzentriert sich noch einmal merklich auf die persönlichen Passagen des Albums, die in seine Biografie blicken lassen. Seine kompromisslosen Punches bringen ihn an der richtigen Stelle selbstherrlich zum Lächeln. Derweil sorgen die roughen Dancehall-Vibes, die sich immer wieder durch das Album ziehen, bei den Gästen für einen irrealen Zustand zwischen Bewegungsdrang und Schockstarre. Erst als die Ode an den jüngst geshoppten CL500 schließlich mit einer humoristischen Bridge über dessen geldfressenden Antrieb endet, löst sich die Spannung im Raum in schallendes Gelächter auf. So viel zum Thema Gezeiten.

Als Teaser deines Albums hast du das Video »32 Bars« releast, in dem es heißt, du seist jetzt Rapper. Rappen ist für dich also zum Beruf geworden? Ja, im Prinzip schon. Rap ist meine Haupteinnahmequelle. Ich hatte gestern auch einen langen Tag im Studio und war abends total groggy – wie nach einem richtigen Arbeitstag. (lacht) Was sich heute alles Rapper schimpft, ist eine andere Sache.

Wann hast du denn gemerkt, dass da für dich mehr drinsteckt als ein netter Zeitvertreib? Meine Karriere hat eigentlich um 2008 herum angefangen, da ging es mit 187 los. Wir haben uns damals einfach mit vielen Leuten zusammengetan, die auch Bock auf Graffiti hatten, und haben HipHop zelebriert. Da war ich gerade zwanzig.

Zu der Zeit hast du auch Bonez kennengelernt? Nein, das war schon 2004, glaube ich. Damals kam er gerade nach einer Zeit in Süddeutschland mit seiner Freundin zurück nach ­Hamburg. Wir haben uns zum ersten Mal auf dem Basketballplatz getroffen.

Hast du Sport damals ernstgenommen? Ich habe mal kurz im Verein gespielt und mir wurde gesagt, dass da richtig was hätte draus werden können. Aber dann, du weißt, dieses Andere … (lacht)

Dieses Rappen? Nein, als ich Bonez kennengelernt habe, habe ich noch nicht gerappt. Ich hab damals vor allem viel Scheiße gebaut und bin zu Hause rausgeflogen. Ich war viel allein und habe mit Bonez zum ersten Mal einen richtigen Freund getroffen, bei dem ich gemerkt habe, dass es einen Zusammenhalt gibt. Und so habe ich den ziemlich schnell als meinen großen Bruder akzeptiert.

Hat er dich auch zum Rappen gebracht? Genau. Bonez hat damals schon gerappt. Am Anfang nannten wir uns eigentlich zusammen Bonez, weil wir so lange, dünne Elendige waren. (lacht) Zu der Zeit waren wir immer zusammen unterwegs, alle haben nur die beiden »Knochen« gesehen. Ich war aber viel zu verkifft damals und dann hat er’s als Bonez erstmal alleine durchgezogen. Als es schließlich bei ihm lief, bin ich wieder dazugekommen, weil ich gemerkt habe, dass da Groupies kommen! (lacht) Bonez ist auch heute noch der Motor von 187. Jeder trägt seinen Teil motiviert bei, aber Bonez ist schon ne richtige Maschine.

Was hast du damals gehört, als du mit dem Rappen angefangen hast? Fifty.

Sonst nichts? Ich hatte nicht wirklich Zugang dazu. Ich hatte keine Kohle, um mir CDs zu kaufen, und Internet-affin war ich auch nicht. Aber als mir jemand »Get Rich Or Die Tryin’« [Major-Debüt von 50 Cent; Anm. d. Verf.] gegeben hat, war ich richtig geflasht. Auch die Verpackung und das Drumherum haben mich krass mitgenommen.

Deutscher Rap hat dich also nicht ­interessiert? Doch, Aggro. Und zu deren Zeit kam dann auch in Hamburg Undergroundscheiß auf, den wir gehört haben. Ich meine, ganz früher gab es natürlich auch schon Straßenrap aus Hamburg, Bacapon und so. Aber ich bin erst später damit eingestiegen.

Als es mit deiner Karriere losging, musstest du erst mal eine Haftstrafe absitzen, richtig? Genau, 2010 bin ich in Haft gegangen und 2013 erst wieder rausgekommen. In der Zeit hat meine Karriere aber ohne mein Dasein einen riesigen Schub bekommen. Überhaupt hat die Haft zur Bekanntheit von 187 einen großen Teil beigetragen. Als ich rauskam, war ich plötzlich auf einem ganz anderen Level, da musste ich psychisch erst mal nachkommen. Die Haftzeit hat mir schon ­zugesetzt. Ich war auf meinem Gangster-Film, als ich rauskam, und wollte ­schnelles Geld machen. Das habe ich im Knast schließlich jeden Tag gesehen.

Der Knast macht einen krimineller, als man vorher ist? Ja, viel krimineller! Auch kompromissloser und abgestumpfter. Du lebst dort in einem Mikrokosmos, und wenn du rauskommst, musst du dich geistig erst mal wieder angleichen. Drinnen konnte ich mich nicht darauf vorbereiten, was da kam. Wir sind dann aber direkt getourt, und mir hat das total Spaß gemacht mit den Anderen. Ich habe am Anfang zwar auch verkackt, weil ich teilweise viel zu besoffen war. (lacht) Aber ich habe gemerkt, dass da viel Potenzial drin steckt. Und mit der zweiten Tour zum »High & Hungrig«-Album habe ich wirklich gesehen, was da geht. Ich muss dazu sagen, dass ich selbst nicht so Internet-aktiv bin, ich habe kein Smartphone und nutze auch privat kein Facebook. Ich komme damit irgendwie nicht zurecht. Also habe ich erst live realisiert, was eigentlich passiert. Und auf der Straße wollten ständig Leute Fotos mit mir machen.

Du hast den 187-Hype im Knast also nicht so recht verfolgen können? Dazu muss ich auch sagen, dass ich auf St. Pauli großgeworden bin – beim Pauli-­Stadion, dem DOM und der Reeperbahn. Und die U-Haft, in der ich zwanzig Monate gesessen habe, ist auch direkt auf der Ecke. Ich hab sogar meinen Bus vorbeifahren hören, mit dem ich früher jeden Tag gefahren bin. Du hörst das Stadion und drehst durch, Digger! Am 13.11.2011 war das HSV-Pauli-Derby, das St. Pauli gewonnen hat – ich bin ausgerastet! Jedenfalls konnte man auch über die Fenster kommunizieren, und Bonez hat mich immer auf dem Laufenden gehalten. Ein Jahr lang geht das gut, aber nach anderthalb, zwei Jahren bist du so im Knasttrott, dass einfach alles viel zu weit weg ist für dich. Wenn du rauskommst, musst du dann wieder auf die Optik klarkommen.

Im letzten JUICE-Interview hast du auch eine anschließende Therapie erwähnt. Ja, es gibt zwei Wege im Knast: Entweder du fühlst dich drinnen gut, bleibst sauber und kommst relativ schnell in den offenen Vollzug. Oder aber du machst direkt klar, dass du ein Drogenproblem hast, mit dem auch die Tat zusammenhängt, und dann kannst du einen Teil der Haft durch eine Drogentherapie ersetzen. Und weil ich wusste, dass ich im Knast auch mal rauchen oder negativ auffallen werde, habe ich den Weg gewählt. Drogen haben mich mein ganzes Leben lang schon begleitet, mit 14 habe ich meine erste Entgiftung gemacht.

Wie bist du denn zu Drogen gekommen? Ach, Diggi, St. Pauli, das geht doch ganz schnell. Mit zwölf oder 13 habe ich zum ersten Mal gekifft und bin gleich drauf backen geblieben. Ich fand das einfach viel zu geil.

Auf dem Album gibt es einen Track namens »Kriminell«.

Erinnerst du dich an deine erste Straftat? Ja, das erste Mal kriminell geworden bin ich im Spielzeugladen vom Mercado [Einkaufszentrum in Hamburg-Altona; Anm. d. Verf.]. Da gab es eine Spielzeugwaffe, die zwanzig Mark gekostet hat, und da ich nur zwölf hatte, habe ich ein Preisschild umgeklebt. Hat sofort geklappt. Ich fand auch immer schon die Bösewichte geiler als die Helden. Die waren nicht so geleckt. Ich bin immer für den Underdog. Wenn jemand schon super krass ist, dann ist es doch langweilig, den selbst auch noch zu feiern.

Was war dann als Jugendlicher so ­reizvoll daran, kriminell zu sein? Ich konnte mich irgendwie damit identifizieren. Und ich fand den Lifestyle geil, dicke Autos und so – das wollte ich auch alles haben. St. Pauli hat sicher einen Teil dazu beigetragen, du kriegst dort jede Menge Action mit. Ich glaube aber auch nicht, dass du zwangsläufig diesen Weg gehen musst, nur weil du an einem bestimmten Ort lebst. Du musst schon Bock auf einen kriminellen Lifestyle haben. Ich habe schließlich auch Kollegen, die neben mir aufgewachsen sind und die studieren. Wenn du aber Bock auf diesen Scheiß hast, dann fällt’s dir auf St. Pauli wohl leichter als im Schwarzwald. (lacht)

Im Refrain des Songs heißt es: »Ihr wollt es.« Wen sprichst du damit an? Die Leute, die Gesellschaft, wenn man so will. Die wollen das, was ich mache, ja auch irgendwie sehen, oder nicht? Ich hab auch schon ne Polizistin getroffen und ihr angemerkt, dass sie Fan ist. Die hat’s genau gecheckt – »Wir kennen doch Ihre Videos.«

Apropos Gefängnis: Warum hast du eigentlich eingesessen? Ach, ich habe viel Straßenscheiße gemacht – mich gehauen, Drogendelikte und dann noch ein Raub. Ich war lange beim Jugendrichter, der hat mich immer wieder davonkommen lassen. Irgendwann war ich aber beim Erwachsenengericht und dann kam einiges dazu. Unter anderem die Videos von 187. Der Richter war eigentlich immer auf meiner Seite und meinte: »Jaja, der Junge muss unbedingt raus.« Irgendwann hieß es aber: »Ich habe mir mal die Videos angeguckt: Kampfhunde, viel zu große Autos für viel zu junge Menschen – was ist denn da los?« Der meinte, die Videos wären ein schlechter Einfluss und würden Kriminalität verherrlichen. Joa, und dann hab ich ne Kelle bekommen, näh – völlig unerwartet.

Der Richter hat also nichts Positives darin gesehen, dass ihr Musik macht? Nee. Ich meine: Wenn ich Millionär damit werden kann, andere Kinder zu verderben, dann schützt der doch lieber die Kinder, als dass ich nicht mehr kriminell sein muss, weil ich Millionär werde. Und wenn man solche Texte raushaut wie meine, ist es halt auch schwer zu vermitteln, dass es neben dem künstlerischen auch einen pädagogischen Hintergrund gibt. Den gibt es ja auch nicht. (lacht) Das ist einfach In-die-Fresse-Rap.

Klar. Jemand wie LX sieht Rap aber auch als positive Sozialprognose, als sinnvollen Teil seines Lebens, oder? Ja, LX ist aber heute auch in einer ganz anderen Position als ich es war. Wir haben damals nicht professionell Musik gemacht – 187 waren 15 Leute, die durch die Straße ziehen, verstehst du? Wir haben Graffiti gemacht und uns geboxt und so’n Scheiß. Da kam keine Presse und meinte: »Boah, guck mal, die Jungs machen Rap.« Es gab auch keine Charterfolge oder irgendwas. Ich hätte zum Richter sagen können: »Ich hänge mit so kriminellen Schwachmaten rum, alle auf Hartz IV – guck mal, was ich da draußen habe.« Dann hätte der geantwortet: »Ja – scheiße, Alter! Geh mal in’ Knast und mach ne Ausbildung. Viel Glück!« Jetzt ist das wirklich ein Business. Im letzten Jahr rief mich meine Mutter an, um zu fragen, wo ich bin. Als ich meinte, dass ich im Studio sei, sagte sie: »Achsooo, du bist auf Arbeit.« In dem Moment habe ich begriffen: »Diggi, das hier ist mein Job!«.

Hast du eigentlich mal eine Ausbildung oder etwas Ähnliches angefangen? Ja, ganz früher. Das war so ein überbetriebliches Projekt für Jugendliche. Aber da war ich nur ein Jahr, dann hab ich ’n Laptop geklaut. (lacht)

Auf »High & Hungrig« hieß es in dem Track »Guck mich um«, dass du den Glauben an das Gute im Menschen verloren hast. Wodurch wurde das ­ausgelöst? Auf jeden Fall auch durch die Haftzeit. Wenn man rauskommt, hat man krasse Erwartungen. Du denkst, dass sich die Welt um dich herum mit dir verändert hat. Aber irgendwie ist alles genauso scheiße wie vorher. Man wird nur wieder enttäuscht und sieht, wie komisch andere Leute ticken. Abgesehen davon, stumpft man im Knast halt ab.

Allein deshalb, weil man sitzt? Und wegen der Leute um einen herum. Stell dir vor, du bist verliebt, kommst nach Hause und deine Frau wartet auf dich – solche Vibes gibt es da drinnen nicht. Wenn du auf den Hof kommst, sind da nur Verbrecher. Eigentlich ist jeder Einzelne ein Wichser, vielleicht gibt es zwei, drei Gute. Da fehlen positive Eindrücke, du wirst im Knast nur frustriert.

Hast du drinnen eigentlich auch ­geschrieben? Nein, das konnte ich nicht. Worüber willst du denn dort rappen? Da passiert ja nichts. Wie willst du dich zurückerinnern an ein Gefühl, das du so viele Monate nicht gefühlt hast? Du kannst halt schreiben: »Hier ist’s ­scheiße«. Aber dann hast du am Ende 15 Tracks mit dem Thema »Hier ist’s scheiße«. Man muss einen freien Kopf haben zum Schreiben. Wenn ich hier sitze, dann kommt schon irgendwas mit der Luft.

»Ebbe & Flut« ist das erste Gzuz-Album. Ist es für dich auch ein Soloalbum? Ich erzähle relativ viel von mir, insofern ist das Album schon persönlich. Aber was die Musik angeht, gibt es für mich eigentlich kein Soloprojekt. Wir arbeiten immer in einem gemeinsamen Prozess. Wir nehmen die Beats nicht mit nach Hause, sondern kommen Tag für Tag hier ins Studio, Jambeatz klimpert was, man schreibt dazu und so wächst das Ganze. Die Musik wächst immer hier mit allen zusammen, so bekommt das Ganze eine eigene Stimmung. Wir machen das als Familie, für das Große und Ganze, nicht aus einem Ego-Denken heraus.

Sind dir die persönlichen Tracks ­schwergefallen? Ich habe einen Track für meine Mutter aufgenommen, die in diesem Jahr verstorben ist – das war schon krass. Da habe ich beim Schreiben auch geweint. Der Track war mir am Ende aber zu kitschig und plump, also habe ich noch mal einen neuen aufgenommen. Bei dem Anlauf habe ich dann auch versucht, das Ganze etwas objektiver zu betrachten und meine Fehler zu sehen.

Was für Fehler meinst du? Ach, Diggi, Fehler, die man macht, wenn man jung und wild ist und nur an sich denkt. Was man seiner Umwelt antut, sieht man erst viel später. Meine Mutter hat unter meiner Haft seelisch mehr gelitten als ich. Nach ihrem Tod haben mich die Jungs zum Glück motiviert. Ich hätte mich in der Situation nicht alleine hingesetzt und ein Album geschrieben. Aber so konnte ich ihren Tod verarbeiten. Meine Mutter war eine sehr gute Frau. Sie hat viel gearbeitet, um uns was zu zeigen und in den Urlaub zu fahren. An manchen Tagen gab’s dann halt Spaghetti mit Tomatensauce.

Auf dem Album sind neben den 187ern auch Hanybal und Xatar vertreten. Wie seid ihr zusammengekommen? Hanybal feiere ich schon seit ein paar Jahren. Wir haben dann mal ein Feature für unseren Sampler angefragt und er hatte Lust. Also haben wir bei denen gechillt und dort auch ein Video aufgenommen. Sympathischer Typ. Xatar hat in Interviews über uns gesprochen, und wir dachten, das würde doch gut passen. Wir sind dann zu ihm gefahren, um den mal kennenzulernen. So ganz blind jemanden ins Boot holen will man ja auch nicht, näh. Nachher ist das ne Tröte, und dann hast du den auf deinem Album. Aber das ist ein super Typ.

Als ihr 187 gestartet habt, wie wurdet ihr damals in Hamburg aufgenommen? Digger, die Szene hat auf uns geschissen! Jahrelang haben die gesagt: »Was die rappen ist wack, ihre Bilder sind scheiße, die Jungs sind nur Assis.« Die linke Szene hat uns damals auch verflucht und sogar gesagt, wir seien Nazis – »187 Hitlergang«. Gzuz ist ein Nazi? Diggi, ich bin in der Juliusstraße aufgewachsen, genau neben der Roten Flora! Und meine Mutter war hier derbe auf der linken Schiene. Ich meine, unser Auftreten war halt vielen zu assi. Klar, wir sind Proleten, treten auf, sind laut und groß. Aber im Endeffekt kann niemand sagen, wir hätten jemanden gelinkt oder abgefuckt oder irgend so ne Scheiße.

Und wie nimmst du euer Standing heute wahr? Man kommt einfach nicht mehr drumherum. Wir sind zu präsent, als dass du einfach weggucken könntest.

Kannst du eigentlich noch entspannt durch Hamburg laufen? Ich bin immer entspannt. Auch wenn ne Klasse Kinder kommt. Ich mach dann mit denen ein paar Fotos und geh weiter, fertig.

Als ich das letzte Mal mit LX unterwegs war, hat er nem jungen Fan gesagt, er solle in seinem Alter nicht kiffen. Wächst mit der Bekanntheit auch die Verant­wortung? Pff, Verantwortung – das ist nicht mein Bier. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Und für Kinder sind die Eltern verantwortlich. Wenn Kinder zu mir kommen, muss ich ­natürlich nicht vor denen kiffen. Aber ich muss in meinen Texten nicht auf Weltverbesserer machen. Es gibt keine heile Welt.

Was stört dich denn an Weltverbesserern? Wenn, dann musst du’s halt richtig durchziehen! Aber so weichgespültes Gelaber, irgendwelche Sachen posten … Diggi, wenn du helfen willst, dann spende doch Geld. Aber wenn ich jemandem nen Euro gebe, muss ich das jedem sagen? Auch wenn das am Ende eine gute Sache ist, im Endeffekt mache ich das ja auch nur für mich, wenn ich jemandem helfe.

Du machst auf dem Album auch klar, dass es dir gerade gut geht, deine Rechnungen sind beglichen. Siehst du eine Gefahr darin, dass man nichts mehr zu erzählen hat, wenn man mit Rap aussorgt? Nein. Ich kann natürlich nicht ewig davon erzählen, dass wir am Block sind und Waffen haben. Man muss sich ja weiterentwickeln. Und das will ich auch. Ich mache das nicht aus Berechnung, um Leute zu bedienen, sondern weil es mir Spaß macht. Und so­lange das musikalisch so bleibt, werde ich auch nicht zu dem Problem kommen, mich zu etwas zwingen zu müssen. Mal sehen, wohin es geht. Vielleicht habe ich in fünf Jahren auch noch Bock vom Knast zu rappen, dann mache ich das. Außerdem glaube ich nicht, dass sich mein Umfeld verändert, nur weil wir jetzt ein bisschen Geld verdienen.

Weil ihr euch mittlerweile in einem viel engeren Team auf die Musik konzentriert und nicht mehr mit zwanzig Mann durch die Straßen zieht? Klar, wir sind heute produktiv und versuchen, etwas auf die Beine zu stellen. Mit zwanzig Leuten auf der Straße waren wir auf der Jagd nach dem Jägermeister. So geht das natürlich nicht ewig weiter. Aber mit den Jungs, die jetzt 187 sind, hänge ich immer ab. Wenn man jemanden anruft, ist das immer als erstes die 187. Wir treffen uns nicht für einen Tag im Studio, nehmen was auf und dann zerstreuen sich wieder alle über Hamburg. Wir machen schon zusammen Party. (lacht)

Auf der Bonus-EP gibt es den Track »Hurensohn«, der Deutschrap gewidmet ist. Was macht Deutschrap für dich zum Hurensohn? Es gibt einfach zu viel Geblende und Ge­bluffe. Heute ist vieles nur Augenbrauen­gezupfe. Wenn ein Typ im Kostüm ankommt, alle Mütter beleidigt und sich alle dazu äußern, dann denke ich mir: »Jungs, das ist doch kein HipHop. Das ist Plastik!«. Ich meine, in erster Linie geht es natürlich um Musik, etwas muss sich einfach geil anhören. Wenn man dann aber das Drumherum sieht, kann einen das auch abfucken. Ich lerne halt keine Menschen im Internet mit nem Kuss-Smiley kennen, sondern wenn ich denen in die Augen gucke und merke, bei uns stimmt da was, wir kommen klar miteinander und lachen zusammen. Wenn da einer sitzt und auf Krampf versucht, seine Facette zu bedienen, dann sage ich dem: »Diggi, du bist ne Tröte, da kommt nichts rüber. Und wenn du n Bluff bist, dann lügst du mich eh nur an. Da brauch ich nicht mit dir abhängen.«

Du hast vor kurzem ein Foto mit Herbert Grönemeyer gepostet. Wo habt ihr euch getroffen? Ein Kollege von mir macht viel Graffiti, mittlerweile verkauft der auch Sachen und macht Ausstellungen. Der hat über Viva con Agua im Millerntor-Stadion [Stadion vom FC St.Pauli; Anm. d. Verf.] Bilder ausgestellt. Grönemeyer war dort und hat vor nem Bild gestanden, das er gefeiert hat. Meine Mutter war riesiger Fan von ihm, also hab ich ihn angesprochen und kurz mit ihm geschnackt. Aber das war nur ein kurzes Treffen, ich bin als Fan gekommen und als Fan gegangen. (lacht)

Meinst du, er ist in ein paar Jahren dein Fan? Das ist auf jeden Fall ein cooler Typ, derbe offen. Ich denke schon, dass er unsere ­Musik feiern könnte. Der wird sich wahrscheinlich denken, dass wir zwar Typen sind, die ein bisschen am Rande der Gesellschaft leben und auch mit ihren Themen in die Richtung gehen, aber ich glaube, er würde auch merken, dass unsere Musik authentisch ist. Wenn er aufs Konzert kommen möchte oder im Studio ein bisschen Input geben will, ist er immer herzlich eingeladen. (grinst)

Letzte Worte?

Free LX!

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